Enzephalitozoonose
In Deutschland sind etwa 42-55% der Heimtierkaninchen mit dem Erreger Enzephalitozoon cuniculi (E.c.) infiziert. Wird das Immunsystem durch Stress (z.B. Ortsveränderungen, Tod eines Partnertieres) oder durch eine andere Erkrankung angegriffen, dann können sich die Erreger vermehren und die Erkrankung ausbrechen.
1) Diagnose
Hat das eigene Kaninchen plötzlich einen „Schiefhals“, so denken viele Kaninchenhalter sofort an die gefürchtete Krankheit Enzephalitozoonose. Jedoch kann die Schiefhaltung des Kopfes auch andere Ursachen haben, die es abzuklären gilt:
- traumatische Verletzungen des Bewegungsapparates oder Schädels
- Pasteurelleninfekt
- Parasiten / Ohrmilben
- Toxoplasmose
- Ohreninfekte
- Schlaganfall
Kann eine dieser Erkrankungen nicht zweifelsfrei als alleinige Ursache für die plötzliche Kopfschiefhaltung bestimmt werden, so sollte die Enzephalitozoonose auf alle Fälle mit behandelt werden.
Die Enzephalitozoonose wird durch den Erreger Enzephalitozoon cuniculi (E.c.) ausgelöst, der zur Gattung der Mikrosporidien gehört. Die Diagnose Enzephalitozoonose ist am lebenden Tier nicht sicher zu stellen. Es handelt es sich immer um eine Verdachtsdiagnose. Der Verdacht auf Enzephalitozoonose wird in zunächst aufgrund des klinischen Bildes erhoben. Im Anschluss kann versucht werden, den Verdacht mit Hilfe eines Bluttest zu erhärten. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass das Blutabnehmen für das Kaninchen mit großem Stress verbunden ist. Es sollte daher in Absprache mit dem behandelnden Tierarzt abgewogen werden, ob der mögliche Nutzen die zusätzliche Belastung für das Tier rechtfertigt.
Bei Kaninchen mit Niereninsuffizienz lassen sich anhand der Blutuntersuchung signifikant höhere Werte für Harnstoff, Kreatinin, Kalium und Leukozyten sowie niedrigere Werte für Hämoglobin, Hämatokrit, Erythrozyten und Natrium feststellen. Diese Blutuntersuchung können die meisten Tierärzte innerhalb kurzer Zeit in ihrer Praxis durchführen.
Im Labor können mit dem Blut darüber hinaus entweder der so genannte Tuschetest oder ein Immunfluoreszenz-Antikörpertest (IFAT) durchgeführt werden.
Beim Tuschetest werden die Antikörper mit Hilfe von Kohlepartikelchen gefärbt. Die so gekennzeichneten Antikörper haften an der Oberfläche der E.c.-Sporen und machen sie mikroskopisch sichtbar. Auf diese Art wird festgestellt, ob Antikörper und Erreger im Blut vorhanden sind. Bei diesem Verfahren werden jedoch Kaninchen mit akuter Infektion und sehr niedrigen Titern meistens nicht erfasst. Ein negatives Testergebnis bedeutet also nicht zwangsläufig, dass kein E.c. vorliegt.
Beim Immunfluoreszenz-Antikörpertest (IFAT) wird das Serum in vielen Stufen immer weiter verdünnt und in jeder Verdünnung versucht, Antikörper nachzuweisen. Je höher die Verdünnungsstufe ist, bei der noch Antikörper nachweisbar sind, umso mehr Antikörper sind vorhanden. Die letzte Verdünnungsstufe mit nachweisbaren Antikörpern nennt man Titer. Generell gilt der IFAT als sehr zuverlässige Testmethode, jedoch wird für die Untersuchung ein Fluoreszenzmikroskop benötigt, so dass der Test nur in bestimmten Laboren durchgeführt werden kann.
Ein positives Ergebnis bei einem der beiden Tests heißt nicht zwangsläufig, dass das Kaninchen akut an E.c. erkrankt ist. Etwa die Hälfte aller Kaninchen weisen Antikörper gegen E.c. auf und werden daher positiv getestet. Darüber hinaus gibt es bisher gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob der Antikörpertiter in Abhängigkeit zu einer gerade bestehenden, akuten Erkrankung ansteigt. Kaninchen, die sich bereits im Mutterleib infiziert haben, weisen außerdem meist keine Antikörper auf, da der Erreger nicht als fremd erkannt wird (Selbsttoleranz).
Daher sollte bei entsprechendem klinischem Bild auch ohne abschließende Auswertung der Labor-Blutuntersuchungen die Enzephalitozoonose-Behandlung unverzüglich begonnen werden. Das positive Ergebnis eines Bluttest kann anschließend die Verdachtsdiagnose lediglich weiter erhärten.
2) Symptomatik
Der akute Krankheitsverlauf ist häufig durch neurologische Ausfälle oder durch Niereninsuffizienzen gekennzeichnet. Nur selten treten beide Symptome in Kombination auf. Außerdem haben einige Kaninchen Veränderungen an einem oder beiden Augen.
Die häufigsten neurologischen Symptome sind verschiedene Störungen der Bewegungskoordination wie zum Beispiel die typische Kopfschiefhaltung, schwankender Gang mit Rotationen um die eigene Körperachse sowie ruckartige oder pendelnde Augenbewegungen. Vereinzelt treten auch Krämpfe und Lähmungen der Hinterbeine auf.
Kaninchen mit Niereninsuffizienz weisen Apathie, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust auf. Seltener sind auch vermehrtes Trinken und Urinieren zu beobachten.
Kaninchen mit Veränderungen am Auge weisen oft keinen positiven Antikörpertiter auf, weshalb in diesen Fällen bereits von einer Infektion bereits im Mutterleib ausgegangen wird. Häufig sind neben einer schmerzhaften Vergrößerung des Augapfels weißliche Ablagerungen von E.c.-Sporen im Bereich der Pupille festzustellen. Darüber hinaus sind in einigen Fällen vermehrter Tränenfluss, Lidkrampf (Lid bleibt verschlossen) und vermehrt sichtbare Blutgefäße im Auge (Rötung) zu beobachten.
Doch auch andere Symptome können auf Enzephalitozoonose hinweisen. Kaninchen mit anhaltenden Verdauungs- und/oder Kreislaufproblemen, bei denen andere Erkrankungen (Darmparasiten, Herzerkrankungen, etc.) ausgeschlossen werden konnten, können ebenfalls mit Enzephalitozoon cuniculi infiziert sein.
3) Behandlung der Enzephalitozoonose
Eine sofortige und gezielte Behandlung ist ganz entscheidend für den positiven Therapieverlauf. Daher sollte bei den ersten Krankheitsanzeichen unverzüglich der Tierarzt aufgesucht werden. Lautet die Diagnose E.c. wird das Kaninchen stets mit einer Kombination aus einem Anti-Parasitikum, einem Antibiotikum und B-Vitamin behandelt.
Das Anti-Parasitikum mit Wirkstoff Fenbendazol (z.B. Panacur) dient zur Abtötung des Erregers Enzephalitozoon cuniculi. In der Regel wird das Anti-Parasitikum über einen Zeitraum von vier Wochen verabreicht.
Zusätzlich wird ein Antibiotikum gegeben, welches die Blut-Hirn-Schranke überwindet (z.B. Chloramphenicol). Das Antibiotikum tötet den Erreger nicht vollständig ab, soll beim immungeschwächten Tier aber mögliche vorhandene Infekte behandeln.
Den Vitamin B-Komplex gibt man vor allem bei neurologischen Krankheitsanzeichen. Es soll die Regeneration der Nervenzellen begünstigen.
Bei stark ausgetrockneten Tieren bzw. bei Schädigung der Nieren sollten zusätzlich Infusionen verabreicht werden. Bei Augensymptomen wird außerdem eine antibiotische oder cortisonhaltige Augensalbe angewendet. Je nach Grad der Erkrankung kann zusätzlich die Behandlung mit Schmerz- und/oder Beruhigungsmitteln sinnvoll sein. Bei Kaninchen mit Lähmungserscheinungen sollten die gelähmten Gliedmaßen vorsichtig bewegt werden und ein Wundliegen verhindert werden.
Viele Halter haben zusätzlich gute Erfahrungen mit Naturheilpräparaten gemacht. Es lohnt sich also, einen Tierheilpraktiker oder Tierarzt wegen der Wahl sowie der Dosierung eines homöopathischen Mittels zu Rate zu ziehen.
Vorsicht ist geboten mit der Verabreichung von Cortison. Cortison mildert zwar die Krankheitszeichen, es unterdrückt aber gleichzeitig das Immunsystem. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass die Erkrankung sich noch verstärkt.
Oft erfolgt erst eine Woche nach dem Krankheitsausbruch eine Stabilisierung bzw. Verbesserung. Bis das Tier wieder ganz gesund ist, kann es unter Umständen sogar Wochen oder Monate dauern! Die seelische und körperliche Belastung des Halters ist in dieser Zeit sehr hoch. Wenn das Tier noch Lebenswillen zeigt, dann hat es aber in jedem Fall eine Chance verdient! Nur wenn irreversible Organschäden auftreten, die Behandlung nicht anschlägt oder das Kaninchen über einen längeren Zeitraum nicht frisst und seinen Kampfeswillen verloren hat, sollte über eine Euthanasie nachgedacht werden.
Obwohl häufig nur ein Tier innerhalb einer Gruppe erkrankt, ist eine Mitbehandlung aller anderen Kontakttiere mit einem Anti-Parasitikum ratsam, um weiteren Erkrankungen vorzubeugen.
Häsin mit Kopfschiefhaltung nach E.c. Erkrankung. Trotz der Folgeschäden haben Kaninchen noch Spaß am Herumtollen.
4) Pflege des erkrankten Kaninchen
Häsin mit Kopfschiefhaltung nach E.c. Erkrankung. Trotz der Folgeschäden haben Kaninchen noch Spaß am Herumtollen.Eine Trennung des erkrankten Kaninchens von seiner Gruppe ist nicht zwingend erforderlich, sofern das erkrankte Tier nicht ängstlich auf den Kontakt reagiert oder die anderen Kaninchen das kranke Tier verbeißen.
Bei Kaninchen mit starken Koordinationsstörungen und Rotationen um die eigene Körperachse ist jedoch eine Änderung der Haltungsbedingungen ratsam. Bei vielen Kaninchen löst dieser Zustand starken Stress und Panik aus, außerdem besteht ein hohes Verletzungsrisiko.
Deshalb ist am Anfang häufig ein kleiner ausgepolsterter Käfig zur Unterbringung am Besten geeignet. Das Polstermaterial sollte so beschaffen sein, dass das Kaninchen beim Rotieren nicht mit den Krallen hängen bleiben kann. Außerdem müssen die Tücher/Decken mindestens einmal täglich ausgewechselt werden. Dabei sollte jedoch versucht werden, unnötigen Stress für das Tier zu vermeiden, indem z.B. der Käfig immer der gleichen Art und Weise ausgepolstert wird. Auch der Käfig selbst sollte an einem ruhigen Ort ohne zu starken Lichteinfall untergebracht sein. Der Halter darf dem Kaninchen aber gerne Gesellschaft leisten, ihm leise zusprechen und es sogar streicheln, falls das Tier den Körperkontakt genießt. Das kranke Kaninchen benötigt besonders viel Ansprache und Zuneigung, um all seine Kraft für den Kampf gegen die Krankheit zu mobilisieren.
Während der Behandlungsdauer ist eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme wichtig, um einer Austrocknung vorzubeugen und um Nieren und Leber zu schützen. Das Wasser kann dem erkrankten Kaninchen in einem flachen Schälchen angeboten werden. Bei einer starken Kopfschiefhaltung funktioniert das jedoch häufig nicht. Dann kann die Flüssigkeit alternativ per Einwegspritze ins Mäulchen gegeben werden. Reicht die aufgenommene Flüssigkeitsmenge trotzdem nicht aus, dann muss der Tierarzt dem erkrankten Tier Infusionen geben.
An E.c. erkrankte Kaninchen haben einen erhöhten Energiebedarf, deshalb muss darauf geachtet werden, dass das kranke Kaninchen ausreichend frisst. Gerne wird Frischfutter wie Petersilie, Dill, Karotten (mit Grün), Löwenzahn, Kohlrabiblätter, Fenchel, Apfel, Schafgarbe oder Spitzwegerich angenommen. Für das kranke Kaninchen ist es am einfachsten das Frischfutter und Heu direkt auf dem Boden angeboten zu bekommen. Es muss jedoch darauf geachtet werden, nicht gefressenes Grünfutter und verschmutztes Heu regelmäßig wieder zu entfernen.
Es kann auch vorkommen, dass das das Kaninchen die Nahrungsaufnahme verweigert. In diesem Fall muss mit Hilfe einer Einwegspritze die Nahrung direkt ins Mäulchen gegeben werden. Am besten holt der Halter Critical Care beim Tierarzt, dem man zur Appetitanregung auch geriebenen Apfel oder Möhren- sowie Bananenbrei zumischen kann. Die ersten Fütterungen sind vor allem aufgrund des schiefen Kopfes und der Koordinationsstörungen schwierig. Wichtig ist, dass das schiefe Köpfchen unter keinen Umständen gerade gedreht werden darf. Am besten setzt sich der Halter zum Kaninchen auf den Boden und fixiert es ggfs. mit einem Handtuch. Der Umgang mit dem kranken Tier sollte dabei möglichst stressfrei, ruhig und geduldig sein, dann gewinnen bald sowohl Halter als auch Kaninchen Routine bei der Zufütterung.
Bessert sich der Zustand und nehmen die Koordinationsstörungen ab, kann wieder Auslauf in einem kleinen und gut gepolsterten Bereich ermöglicht werden. Das Kaninchen sollte dabei selbständig entscheiden, ob es den Käfig verlassen will oder nicht. Wenn das Tier nicht aus dem Käfig springen kann, können Stufen bzw. Trittbretter den Weg vereinfachen. Alternativ kann auch ein Stück der Käfigwanne ausgesägt werden, damit das Kaninchen den Käfig ebenerdig verlassen kann. Dabei dürfen allerdings keine scharfen Schnittkanten zurückbleiben! Wenn das Kaninchen weitere Fortschritte macht, kann der Auslauf nach und nach vergrößert werden. Ist der Zustand über einige Tage stabil, kann wieder mit dem eventuell vorher getrennten Partnertier vergesellschaftet werden.
5) Mögliche Folgeschäden
Auch nach einer erfolgreichen Behandlung können Symptome wie die Kopfschiefhaltung bestehen bleiben, da sich durch den Erreger zerstörte Nervenzellen nicht mehr regenerieren. Für viele Halter ist es zunächst schwer, sich an die Kopfschiefhaltung des Tieres zu gewöhnen. Die Behinderung stört jedoch die Lebensqualität des Kaninchens nicht – es gewöhnt sich sehr schnell an den schiefen Kopf und kann damit genauso ungestört leben und spielen wie seine Artgenossen.
An E.c. erkrankte Häsin mit Kopfschiefhaltung (rechts)
6) Übertragung und Hygienemaßnahmen
Der Erreger Enzephalitozoon cuniculi durchläuft einen dreistufigen Entwicklungszyklus, an dessen Ende es zur Reifung von infektionsfähigen Sporen kommt. Die Sporen werden durch frisch infizierte und akut erkrankte Tiere über den Urin ausgeschieden und können bis zu zwei Jahre in der Umwelt überleben. Chronisch infizierte Tiere (klinisch gesund) scheiden dagegen meist keine Sporen mehr aus.
Die Aufnahme der ausgeschiedenen Sporen durch andere Tiere erfolgt meist oral mit dem Futter oder der Einstreu. Die Krankheit kann außerdem im Mutterleib auf die Jungtiere übertragen werden, daher sollten positiv getestete Tiere niemals zu Zuchtzwecken eingesetzt werden.
Da die Sporen recht umweltresistent sind, muss während der Behandlungsdauer auf eine besonders gründliche Hygiene geachtet werden. Das Gehege und vor allem die Klo-Ecken müssen sorgfältig gereinigt und desinfiziert werden. Während der Behandlung sollte die Einstreu bzw. die Tücher und Decken täglich gewechselt werden. Teppiche, Tücher und Decken sollten entweder ausgekocht oder gründlich mit einem Wäschedesinfektionsmittel behandelt werden. Um eine Ansteckung von Wildtieren bzw. von Kaninchen in Außenhaltung zu verhindern, darf die Einstreu keinesfalls auf dem Kompost entsorgt werden.
Andere im Haushalt lebende Tiere (z.B. Katzen, Hunde, Meerschweinchen) sollten vom erkrankten Tier ferngehalten werden, da der Erreger für sie ansteckend sein kann. Da Kleinkinder noch kein stabil ausgebildetes Immunsystem besitzen, sollte hier ebenfalls der Kontakt zum Tier vorsichtshalber vermieden werden. Auch für immungeschwächte Menschen (z.B. HIV-Patienten, Chemotherapie-Patienten) besteht grundsätzlich ein Infektionsrisiko. Die Gefahr einer Ansteckung für den Menschen jedoch gering, wenn Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen nach Tierkontakt oder Kontakt zum Kot/Urin des Tieres eingehalten werden.
Auch nach einer erfolgreichen Behandlung der Erkrankung sollten weiterhin alle Klo-Ecken regelmäßig mit Essigwasser ausgewaschen werden und eine gute Grundhygiene eingehalten werden.
Quellen:
Fokusthema „Encephalitozoon cuniculi“, www.intervet.de
Enzephalitozoonose, www.headtilt.de
Enzephalitozoonose beim Kaninchen, www.birgit-drescher.de
Encephalitozoonose , www.wikipedia.org
Enzephalitozoonose, www.kaninchenforum.com
Evaluierung von Liquorpunktion und PCR zur klinischen Diagnose der Enzephalitozoonose beim Kaninchen, Dissertation vorgelegt von Ariane Jaß (München 2004)
Besonders hervorheben möchten wir die Seite www.headtilt.de, die einen speziellen Fragebogen für betroffene Halter entwickelt hat. Mit Ihren Angaben können Sie dazu beitragen, mehr über die Krankheit zu lernen und so künftig die Tiere noch besser behandeln zu können. Bitte nehmen Sie sich daher die Zeit den Bogen auszufüllen: www.headtilt.de